Zitat Titel: Claudia A. Pfeiffer, abgewandelt von Anja Lehnertz

Bild: gemalt von Susanne Kraus (München) im Auftrag von Anja Lehnertz

 

Gastbeitrag von Hebamme Anja Lehnertz aus Karlsruhe („Hebamme am Limit“)

Am Sonntag wird weltweit wieder der Gewalt an Frauen gedacht. In meinem Berufsfeld gedenken wir der Frauen, die an Gewalt unter der Geburt bis heute leiden aber auch der Geburtshelferinnen die traumatisiert sind. Und wie jedes Jahr bin ich über die Geschichten aus der einen oder der anderen Perspektive erschrocken, fassungslos, sprachlos, traurig und wütend. Sie werfen Fragen in mir auf.

Wir selbst haben zur Not der Rettung beigetragen

Die Geburtshilfe befindet sich für mich in der absoluten Schieflage. Wir brüsten uns mit Geschichten von der Rettung von Kindern bei schweren Geburten. Dabei hat unsere eigene Interventionskaskade (z.B. Einleitung, Wehentropf, Fruchtblaseneröffnung, PDA, vaginal-operative Geburtsbeendigung usw.) zur Not der Rettung beigetragen. Geburten die durch gute Hebammenarbeit, oder durch warten, oder bei einem doch schier unmöglichen Positionswechsel der Frau oder…oder… – dann ohne große Dramatik enden, finden dagegen kaum Beachtung oder Anerkennung. Der Blickwinkel muss sich ändern!

Was Frauen zu hören bekommen

Was meinen Puls enorm ansteigen lässt, ist der Umgang der Öffentlichkeit mit den Geschichten der Frauen. Ich höre Sätze wie:

„Früher hat sich auch keine Frau beschwert.“

„Das sind die Frauen von heute.“

„Meine Mutter hatte auch einen Wehentropf und ist nicht traumatisiert.“

„Die sollen sich nicht so anstellen, sie haben ein gesundes Kind.“

„Sie will sich nur wichtigmachen.“

Mit dem Rücken an der Wand

Vorab, mit dem öffentlichen Bekenntnis „Ich habe Gewalt erfahren“ gewinnt keine Frau einen Blumentopf. Es ist kein Lebensereignis, was gerne erwähnt wird.

Sie ahnt häufig schon vorher, dass es auch Kritik gegen diesen Schritt geben wird – bis hin zu Anfeindungen. Wie kann das sein? Wie kann eine Gesellschaft Frauen so mit dem Rücken an die Wand stellen, nur um eine scheinbar heile Welt aufrecht zu erhalten?

Aktiv zuhören statt zu bewerten

Ich selber habe Gewalt (auf einer anderen Ebene) erlebt und erlebe strukturelle Gewalt weiter in meiner Arbeit als Hebamme. Was für mich noch heute sehr belastend ist, ist das ständige Rechtfertigen der eigenen Geschichte. Ich möchte, genau wie alle die Gewalt, in welcher Form auch immer erlebt haben, einfach nur wahr – und ernstgenommen werden. Es ist ein individuelles Erlebnis. Wir haben gegenüber anderen die moralische Verpflichtung, sie in ihren Gefühlen und Erlebnissen ernst zu nehmen. Vielleicht beschränken sich Menschen, die es nicht verstehen wollen/können, in Zukunft eher auf das Aktive Zuhören, als auf das Bewerten von Gewaltgeschichten, denn sie geschehen in Deutschland.

Gewalt an Frauen – Gewalt unter der Geburt gibt es und das jeden einzelnen Tag!