Im März 2019 wurde ich von den Kritischen Mediziner*innen der Medizinischen Hochschule Hannover kontaktiert. Nach dem Frauenkampftag erhielten sie eine Mail, die auch an alle Studierenden ging. Darin stand „Wenn Frauen aufhören Kinder zu bekommen, werden sie auch eher Chefärzt*innen“. Ich wurde um eine kritische Beleuchtung dieses Zitats gebeten und hielt am 6. Juni 2019 nachfolgenden Vortrag an der MHH.

Aktuelle Herausforderungen der Mutterrolle: Zwischen Vereinbarung und Diskriminierung

Zu Beginn eine persönliche Anekdote von mir: Ich war mit meinem Sohn 2006/2007 schwanger und legte hochschwanger meine Zwischenprüfung in Soziologie ab. Kurz darauf wurde mir von einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin im Bereich Geschlechterforschung gesagt, ich könne mit Kind niemals Professorin werden. Ihre Chefin, die Professorin für Geschlechterforschung, sprach nach der Prüfung sogar meinen Mann auf dem Campus an. Sie sagte ihm, er solle mir raten, dass ich mich nun auf das konzentriere was vor mir liegt: mein Kind.

Nun. Ich bin keine Professorin geworden. Aber ich bin Gleichstellungsbeauftragte und habe seitdem 7 Bücher geschrieben – eins davon über die Diskriminierung von Müttern im Berufsleben: „Mütter unerwünscht“.

Aktuelle Entwicklungen und Auswirkungen des Mutterbildes

Die Frage mit welcher dieser Text heute eng verbunden ist, ist die Frage, ob Beruf und Kinder vereinbart werden können. Die kurze Antwort darauf lautet: Ja, Beruf und Familie können vereinbart werden. Von Personen, die männlich sozialisiert wurden, männlich gelesen werden und die traditionelle Männerrolle leben, sogar ganz wunderbar. Der Schluss, Frauen könnten Beruf und Familie nicht vereinbaren und müssten sich daher für Kinder oder Karriere entscheiden, führt in die völlig falsche Richtung: zurück ins letzte Jahrhundert.

Doch im Umkehrschluss anzunehmen, dass Mütter unter allerlei Anstrengungen folglich irgendwie Kinder und Job unter einen Hut bringen können und können müssen, ist ebenso falsch. Es liegt eben nicht nur daran, wie sehr Mütter sich anstrengen.

Was ist also alles problematisch an:

Wenn Frauen aufhören, Kinder zu bekommen, werden sie auch eher Chefärzt*innen.

Dem Zitat liegen mehrere Fehlannahmen zugrunde:

  1. Fehlannahme: Kinderlose werden entsprechend ihrer Qualifikation beurteilt und befördert. Fakt hingegen ist: Auch kinderlose Frauen werden diskriminiert und gelangen bei gleicher Qualifikation schwerer an Führungspositionen als Männer. Frauen zu empfehlen, einfach keine Kinder zu bekommen, führt ganz schnell in die doppelte Enttäuschung: keine Kinder & keine Karriere.
  1. Fehlannahme: Es wäre erstrebenswert auf Chefärzt*innen-Positionen nur Menschen zu haben, die die Vereinbarung outgesourced haben (Männer). Fakt ist: Jeder Beruf – erst recht Führungspositionen – profitieren von Vielfalt und Heterogenität. Homogenität reduziert Qualität und Fortschritt und auch den finanziellen Erfolg. Unternehmen, die mindestens 30% Frauen in Führungspositionen haben, steigern ihren Gewinn um 10-15% gegenüber Unternehmen mit nahezu rein männlich besetzten Führungsriegen. Aber unabhängig vom ökonomischen Aspekt: Vielfalt nicht zu unterdrücken ist eine moralische Verpflichtung in einer humanistischen Gesellschaft.
  1. Fehlannahme: Vereinbarung wird von allen Männern outgesourced – alle Männer leben also das traditionelle Modell. Fakt ist: Das trifft sicher auf sehr viele zu – aber eben nicht auf alle.
  1. Fehlannahme: Frauen können die Vereinbarung generell nicht outsourcen. Fakt ist: Wie bei den Männern auch, mag das auf viele zutreffen, aber nicht auf alle.
  1. Fehlannahme: Frauen sind selber schuld an der Diskriminierung und folglich sind sie es, die sie verhindern können. Fakt hingegen ist: Die Idee, Frauen müssten halt einfach auf Kinder verzichten, dann könnten sie auch Chefärztinnen werden, schiebt einseitig den Frauen die Problematik zu und entlastet gleichzeitig Väter, Politik, Gesellschaft und Arbeitgeber. Könnte dann ja alles so bleiben wie es vor 50 Jahren schon war. Diskriminierung geht aber nicht von der diskriminierten Gruppe aus sondern von denjenigen, die diskriminieren. Alles andere ist eine Täter-Opfer-Umkehr, ein Victim-Blaming, welches den Blick weg von den wahren Verantwortlichen lenkt. Wo um alles in der Welt rät man diskriminierten Personen, die Diskriminierung zu verhindern, indem sie sich verändern? Also indem sie ihre Diskriminierungskategorie loswerden…eine andere Religion annehmen, eine andere sexuelle Orientierung annehmen, eine andere Frauenrolle leben etc.
  1. Fehlannahme: An der gesellschaftlichen Diskriminierung von Müttern soll und wird sich nichts ändern – ebensowenig wie an den Geschlechterrollen. Fakt aber ist: Es gibt viele Menschen, die die bestehenden Verhältnisse verändern möchten und sich für eine diskriminierungs- und gewaltfreie Welt einsetzen. Frauen und Menschen leiden unter dem traditionellen Mutterbild. Ganze 96% der Mütter wollen berufstätig sein.

Aber weshalb denken wir bei dem Thema Vereinbarung von Beruf und Familie eigentlich sofort an Mütter? Weshalb reden wir nicht darüber, dass auch ganz schön viele Väter berufstätig sein wollen – trotz Vaterschaft sogar? Die Vereinbarung von Beruf und Familie ist mindestens genauso auch Aufgabe der Väter und besonders auch der Arbeitgeber und der Politik. Dass Kinder grundsätzlich keine Karrieren verhindern, sehen wir an den vielen Erwerbsbio­grafien von Männern. Das bedeutet natürlich nicht, dass Männer wahnsinnige Vereinbarungs-Profis sind, sondern vielmehr, dass die Rahmenbedingungen und das Setting Vereinbarung ermöglichen und verhindern können. Schauen wir uns an, was einer gelingenden Vereinbarung auch im 21. Jahrhundert noch entgegensteht: Auf individueller Ebene sind die Herausforderungen, die sich Männern und Frauen stellen, deutlich voneinander zu unterscheiden.

Die Situation der Mütter

Mütter sehen sich mit einem großen Zwiespalt konfrontiert zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und den Anforderungen, die die Gesellschaft in weiten Teilen noch an sie stellt. Dies führt zu Unzufriedenheit und dem typischen schlechten Gewissen. Zudem müssen sie auf Anerkennung und Wertschätzung verzichten. Denn für die Tätigkeiten als Hausfrau und Mutter gibt es keine gesellschaftliche Anerkennung – für berufstätige Mütter jedoch auch nicht. Dass Frauen den Spagat zwischen den eigenen Bedürfnissen und dem gesellschaft­li­chen Mutterbild versuchen, führt beispielsweise dazu, dass weniger Betreuungsum­fang in Anspruch genommen wird als benötigt wird und dass die Väter oft nicht massiv auf gleiche Pflichten festgenagelt werden.

Dieser Umstand erhöht den Stresspegel und führt noch stärker zu einem schlechten Gewissen. Und je mehr die unterschiedlichen Bedürfnisse von Müttern in Konflikt geraten und je mehr ihre eigenen Bedürfnisse mit den gesellschaftlichen Ansprüchen unvereinbar sind, umso eher geraten Frauen in den Teufelskreis aus Minderwertigkeitsgefühlen und Selbsterhöhung. Sie schwanken ständig zwischen dem Gefühl, eine Rabenmutter zu sein und dem Wunsch, anderen dieses Gefühl zu vermitteln, um sich selber wenigstens kurzfristig ein bisschen aufzuwerten. In den 1950er-Jahren gab es ein ganz simples Mutterbild. Auch, wenn es alles andere als simpel war, diesem zu entsprechen, waren die Vorgaben und Ansprüche an eine „gute“ Mutter doch klar. Die Mütter sollten zu Hause bleiben, nach der Heirat nicht mehr erwerbstätig sein, rund um die Uhr für Kinder, Mann, Haus und Garten schuften und dabei stets gut gelaunt und entspannt wirken.  

Fragen über Fragen

Heute gibt es für Mütter unendlich viele neue Aufgaben. Es wird erwartet, dass sie sich jeder Menge Fragen stellen und diese „richtig“ beantworten: Soll der Babybrei selbst gekocht oder gekauft werden? Soll eine Mutter stillen und wenn ja, wie lange? Kann man Zahnungsgel bei Zahnungsbeschwerden geben? Sollten Kinder besser zu einer Tagesmutter oder in die Krippe? Ist das Laufrad oder die Matschhose schadstofffrei? Allein wenn man Säuglingsmilch füttert, stellen sich zahllose Fragen: Füttert man aus Glas- oder Plastikfläschchen, mit Latex- oder Silikonsauger, aus Standard- oder Weithalsflaschen, mit Kirsch- oder Rundsauger, mit Henkeln oder ohne? Kauft man die Fläschchen von bekannten Marken oder aus der Drogerie oder kauft man gar ganz besonders teure, aber innovative Fläschchen und Sauger aus der Apotheke?

Die Qual der Wahl raubt Zeit

An jeder noch so alltäglichen Entscheidung, die Eltern treffen müssen, scheiden sich die Geister. Frauen können unmöglich überall als gute Mutter gelten. Wo sie für die eine Entscheidung mitleidig belächelt oder streng kritisiert werden, trifft eine andere Entscheidung auf großen Anklang und Zustimmung. Die kaum zu bewältigende Vielfalt an Möglichkeiten raubt zudem Kraft und Zeit. Die Informationen und Hinweise, die gelesen und recherchiert werden müssen, sind vom Umfang her mit einer Abendschule zu vergleichen. Diese wird von (werdenden) Müttern so ganz nebenbei – neben dem 24-Stunden-Job als Hausfrau und Mutter absolviert.

Aus der Mutterschaft wird eine Wissenschaft gemacht

Die Ansprüche an die Kindererziehung sind in den letzten 20-30 Jahren stark gestiegen. Nicht zufällig genau in der Zeit, in welcher Mütter begonnen haben gegen das jahrelange zu Hause bleiben zu rebellieren. Mütter sollen die Kinder fördern, alle Sinne anregen, Schadstoffe und alle Produkte, die laut diversen Warentests als bedenklich gelten von ihren Kindern fernhalten. So wundert auch nicht, dass die Vielzahl der Kurse für Mütter zugenommen hat. Aus der Mutterschaft wird eine Wissenschaft gemacht: Brei kochen, Stillen, schwimmen, massieren – alles sollen sich Mütter in Kursen zeitaufwendig erschließen. Mutterschaft unterliegt einer starken Professionalisierung. Je höher die Ansprüche an Mütter sind, je vielfältiger ihre Aufgaben, umso schwerer wird es, diesen gerecht zu werden und somit letztlich auch Beruf und Familie zu vereinbaren. Mütter müssen sich daher ständig als scheiternd und als defizitär erleben.

 

Der Tag hat aber auch im Jahr 2019 nur 24 Stunden

Frauen und Mütter müssen sich entscheiden, womit sie ihre Zeit füllen wollen. Anstatt, dass sich Frauen gegen dieses frauenfeindliche Mutterbild wehren, es hinterfragen und ablehnen, akzeptieren sie es viel zu oft noch. Das bedeutet nicht, dass sie wie noch vor einigen Jahrzehnten tatsächlich zu Hause bleiben und keinem Beruf nachgehen. Sie gehen wieder arbeiten – einige früher, andere später, manche in Teilzeit, manche in Vollzeit. Die heutige Generation von Müttern geht in der überwältigenden Mehrzahl auch nach den Geburten ihrer Kinder zurück in den Beruf oder steigt dort nie wirklich aus. Sie versuchen eine Erwerbstätigkeit und den Fulltime-Job Hausfrau und Mutter in den 24-Stunden-Tag zu stopfen. Sie versuchen an einem Tag zwei Leben zu führen – aber das macht früher oder später psychisch und körperlich krank.  

Fulltime-Job plus Berufstätigkeit

Dass etwas an unserem Mutterbild krankhaft ist, prangern viele nicht an, sondern versuchen dies im täglichen Kampf mit ihrem Leben zu heilen. Frauen möchten arbeiten gehen und dennoch all die Aufgaben erledigen, die früher von Frauen erledigt wurden, die ausschließlich zu Hause waren. Die Frauenbewegung in den 1970er-Jahren hat aber bereits kritisiert, dass Mütter ausgelaugt, erschöpft und überarbeitet sind. Sie hatten rund um die Uhr und auch am Wochenende auf Abruf zur Verfügung zu stehen. Eine Hausfrau hatte Früh-, Spät- und Nachtschicht mit Dauerbereitschaft. Urlaub gab es für sie nicht, sie hatte keinen Feierabend und kein Wochenende und durfte nie krank sein. Die damaligen Anforderungen an Mütter waren bereits gnadenlos überladen und kaum erfüllbar. Hausfrau und Mutter zu sein, ist nach wie vor ein Fulltime-Job. Mehr noch: An 24 Stunden am Tag, an 7 Tagen die Woche, an 365 Tagen im Jahr haben Mütter Dienst. Diese Arbeit ist so schon kaum zu leisten. Wie soll sie von erwerbstätigen Frauen bewältigt werden?

Vereinbarkeitsmanagement und Mental Load

Aber Überraschung für alle, die jetzt schon beim Lesen aus der Puste kommen: Da ist noch mehr (drin). Hinzu kommt neben Hausarbeit, Kindererziehung und Beruf auch noch das Vereinbarkeitsmanagement. Die Leben aller Familienmitglieder tagtäglich zu koordinieren und zusammenzuführen, ist längst derart zeit- und kraftaufwändig, dass diese Aufgaben von der Soziologie als eigener Tätigkeitsbereich (an)erkannt wurden. Im Alltag müssen viele Zahnräder ineinandergreifen, damit ein Familienleben statt­finden kann und zwei Berufstätigkeiten mit den elterlichen Verpflichtungen verein­bart werden können. Bürokratie, Verwaltung, Planung und Organisation nehmen einen großen Teil der Zeit in Anspruch. Und Studien belegen, dass wieder einmal Frauen hauptsächlich für das Vereinbarkeits­manage­ment verantwortlich sind. Und das tückische am Vereinbarkeitsmanagement ist: es raubt nicht nur Kraft und Zeit während man es tut (Give-Aways für den Kindergeburtstag besorgen, das Textil-Geld in den Schulranzen packen, Zahnarzttermin verlegen, weil da jetzt Logopädie stattfindet, die Tochter früher von der Fußball-AG abholen, weil sie auf einen Geburtstag eingeladen ist). Mütter haben eine To-Do-Liste im Kopf, die nie leer wird und so groß ist wie die Karte Neuseelands im Maßstab 1:1, genannt: Mental Load.

Rabenmutter-Drohung

Das Anwachsen der Ansprüche an Mütter kann als direkte Reaktion auf die Frauenbewegung der 1970er Jahre verstanden werden. Es ist die – auch aus früheren Zeiten bekannte – Drohung: „Wenn du arbeiten gehst, schadest du deinen Kindern/bist Du eine schlechte Mutter.“ Da sich Frauen von diesen Drohungen zumindest nicht langfristig aus dem Erwerbsbereich verdrängen ließen, wurde die Drohung mit weiteren Bedingungen angefüllt: „Du kannst nur eine gute Mutter sein, wenn du mindestens 12 Monate stillst. Du kannst nur eine gute Mutter sein, wenn du deine Kinder selber förderst, bespaßt, fütterst und wickelst wenigstens bis sie drei sind. Du kannst nur eine gute Mutter sein, wenn du Brei selber kochst, Kuchen selber backst und Einladungen und Schultüten selber bastelst. Oder auch: Du kannst nur eine gute Mutter sein, wenn Du Deine Kinder breifrei und windelfrei erziehst“   Längst geht es nicht mehr um die Frage, ob Frauen arbeiten gehen dürfen. Es geht darum, ob sie es bei diesem Mutterbild noch wollen. Ob ihnen die Vorstellung Angst macht, als „Rabenmutter“ abgestempelt zu werden, weil sie auf der Schulfeier beim Aufbau nicht helfen konnten und Tiefkühl-Donuts angeschleppt haben, weil sie ihrem Kind Gläschen füttern, es bei einer Tagesmutter abliefern oder allwöchentlich bei der Verschönerung des Kindergarten-Außengeländes fehlen.

Berufstätige Mütter unter Generalverdacht

Berufstätigkeit bedeutet für Mütter etwas vollkommen anderes als für Väter. Während Mütter einen Verlust an Anerkennung und Wertschätzung erleben durch Gesellschaft, Medien, Freundinnen und Familie, erfahren Väter gesellschaftliches Ansehen für ihre fast immer Vollzeit ausgeübte Berufstätigkeit. Die Motivation von Müttern, erwerbstätig zu sein wird auf eine harte Probe gestellt. Nicht nur, weil ihnen die gesellschaftliche Anerkennung verweigert wird. Die Sorge um das Wohlergehen der Kinder wird auch permanent angestachelt. Und wenn dann tatsächlich etwas mit den Kindern ist, Schulprobleme, Entwicklungs­ver­zöge­rung, ADHS, Wahrnehmungsstörung, Sehschwäche, häufige Infekte oder an­deres, dann wird sich noch jede Mutter fragen, ob das im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit steht. Ein entsprechender Zusammenhang würde freilich nie von einem Vater mit seiner Berufstätigkeit vermutet. Die Vereinbarkeit von Beruf oder auch Studium und Familie wird also deutlich durch unser Mutterbild erschwert. Je höher die Ansprüche an Mütter sind, desto schwerer fällt es ihnen familiäre und berufliche Aufgaben zu bewältigen. Unser Mutterbild bewirkt, dass Frauen ihre Möglichkeiten auch häufiger unrealistisch einschätzen. Sie hoffen nahezu verzweifelt, dass sie Supermutter-Kräfte entwickeln. Und sie neigen dazu keinerlei Erholungsphasen für sich selbst einzuplanen und eventuell vorhandene Pausen mit Arbeit und Kind vollzustopfen.

Wo sind die Väter?

Kommen wir zu den Vätern. Das Problem der Mütter ist auch ein Problem der Väter. Noch immer übernehmen sie nicht 50% von Haushalt und Kinderbetreuung und natürlich dem Vereinbarkeitsmanagement. Das vielzitierte Problem der Vereinbarkeit ist auch ein Kapitel über die Abwesenheit der Väter. Die Gründe weshalb die meisten Väter nach wie vor nicht gleichberechtigt an der Vereinbarung mitwirken, liegen auf der Hand: es wird z.B. nicht von ihnen erwartet. Man könnte nun natürlich aus mütterlicher Perspektive – die ich ja auch inne habe – entgegnen, dass es nicht sein kann, dass Väter sich zu wenig beteiligen nur weil es die Gesellschaft nicht von ihnen erwartet. Doch das wäre zu leicht. Denn wie viel Engagement würden die Mütter an den Tag legen, wenn sie sich mit einem Rückzug aus Küche und Kinderzimmer nicht gesellschaftlich ins Aus begeben würden? Wir wissen es nicht. Sicher würden Mütter sich nicht derart an allen Fronten aufreiben, wenn die Rabenmutter-Keule eben nicht wie ein Damokles-Schwert über ihnen schweben würde. Einer der Gründe weshalb Mütter die Vereinbarung übernehmen ist somit auch derselbe Grund weshalb Väter das nach wie vor viel zu wenig tun.

Gleichberechtigung vor Privilegien

Väter haben das Privileg, dass sie bei Dienstreisen nicht gefragt werden wie sie das mit den Kindern organisieren und niemand würde sie für schlechte Väter halten, wenn sie sich in der Kita nur zwei Mal im Monat blicken lassen. Dieses Privileg haben Frauen nicht. Um aus diesen Rollenbildern auszubrechen, müssen sie von beiden Elternteilen erkannt und thematisiert werden. Und dann folgt harte Arbeit. Väter müssen den Willen haben, Privilegien aufzugeben, um ein höheres Ideal anzustreben: eine gleichberechtigte Partnerschaft.

Selbst ist der Mann

Sie müssen den beruflichen Ambitionen ihrer Partner*innen nicht nur denselben Stellenwert beimessen wie ihren eigenen. Sie müssen auch daran mitarbeiten, dass die Mutter genug Raum und Zeit für ihre beruflichen Aufgaben und Ziele hat. Sie müssen Verantwortung übernehmen und sich aktiv um die Kindererziehung kümmern – also nicht nur auf Anweisung. Nicht die Mütter müssen die Väter über neue Erziehungstrends, Kinderkrankheiten, Gewalt in der Geburtshilfe, Tragetücher oder Attachment Parenting aufklären. Die Väter müssen sich selber aktiv in ihre Vaterschaft einarbeiten – und nicht auf ihre Einarbeitung durch die Mutter warten. Alles was dafür nötig ist, können Väter bereits: googlen. Googlet Euch Artikel zu Vaterschaft, Kindererziehung und Babypflege zusammen. Sucht Euch Elternratgeber in der Buchhandlung zusammen. Recherchiert, lest, informiert Euch.

Was ist mit den Arbeitgebern?

Die Diskriminierung von Schwangeren und Müttern in Bewerbungsverfahren und am Ar­beitsplatz ist in Deutschland an der Tagesordnung. Da werden Schwangere zur Kün­digung gedrängt, Stel­len während der Elternzeit gestrichen, Mütter mit unbe­frie­digenden Rou­ti­neaufgaben unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt, Gehaltser­hö­hun­gen sowie zugesagte Beförderungen ausgelassen, und in Vorstellungsgesprächen wer­den ungeniert trotz ge­setz­li­chen Verbots indiskrete Fragen zur Familienplanung oder zur Betreuungs­si­tuation der Kinder gestellt.

 

Gebärmaschine vs. Arbeitnehmerin

Arbeitgeber wünschen sich aufgrund des Fachkräftemangels mehr Nachwuchs, aber die Mütter dieses Nachwuchses möchten sie am liebsten nicht beschäftigen. Doch potentielle Fachkräfte haben wir längst: Es sind die talentierten Frauen, die wir hierzulande kaum motivieren, sich in die technischen Berufe zu begeben. Und es sind qualifizierte Frauen und Mütter, die gar nicht erst eingestellt werden, weil sie Kinder haben oder welche bekommen könnten. Viele Arbeitgeber folgen damit einem absolut anachronistischen Frauenbild. Sie sehen die Frauen letztlich nur als Gebärmaschinen, die ihnen neue Arbeitskräfte produzieren sollen, statt sie als Arbeitskraft selbst zu sehen.

Ausmaß der Diskriminierungen kaum bekannt

Doch die Benachteiligungen geschehen im Verborgenen und werden nur selten geahndet oder öffentlich gemacht. Dabei ist den Gewerkschaften, den Frauen- und Familien­be­ra­tungs­stellen, den Arbeitnehmerverbänden und der Antidiskriminie­rungsstelle des Bundes das Problem durchaus bekannt. Kaum eine Mutter oder Schwangere hat noch keine Diskriminierung erlebt. Sie stellt nicht die Ausnahme, sondern die absolute Regel dar und gehört wie selbstverständlich zum Arbeitsalltag der Frauen.

Was ist Diskriminierung?

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes definiert Diskriminierung wie folgt: „Eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne ist eine Ungleichbehandlung einer Person aufgrund einer (oder mehrerer) rechtlich geschützter Diskriminierungskategorien ohne einen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt. Die Benach­teiligung kann ausgedrückt sein z. B. durch das Verhalten einer Person, durch eine Vorschrift oder eine Maßnahme.“ Im Falle der Schwangeren und Mütter handelt es sich um eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Denn sie werden aufgrund einer Kategorie – hier: (mögliche) Mutterschaft – benachteiligt, die in untrennbarem Zusammenhang mit ihrem biologischen Geschlecht und ihrer sozialen Rolle als Frau steht.

Strukturelle Diskriminierung

Unter struktureller Diskriminierung sollen hier verstanden werden die diskrimi­nie­renden und frauenfeindlichen Bedingungen, die am Arbeitsmarkt herrschen. „Als strukturelle Diskriminierung erfolgt die Ungleichbehandlung nicht intentional, sondern ist in die Strukturen und Verhältnisse eingebettet, z.B. die hierarchische Ge­schlechter­ord­nung, so dass es keiner diskriminierenden Absicht bedarf […].“ Frauen werden auf dem Arbeitsmarkt also generell diskriminiert. Beispiele für strukturelle Diskriminierungen sind:

  • Der Gender Pay Gap – sprich die ungleiche Entlohnung von Männern und Frauen: Frauen verdienen nach wie vor weniger als Männer. Männer erhalten aktuell rund 27 % mehr Gehalt. Und sie erhalten 73% mehr Rente. Auf ein ganzes Leben hochgerechnet erhalten sie so rund 1 Million Euro mehr als Frauen.
  • Familienunfreundliche Arbeitsstrukturen wie starre Arbeitszeitregelungen, Kon­fe­renz- und Meetingzeiten regelmäßig am späten Nachmittag, Präsenzpflicht, keine oder unzureichende Vertretungsregelungen, keine Heim- oder Telearbeits­mög­lich­kei­ten, keine oder unzureichende Teilzeitregelungen, keine Teilzeitmöglichkeiten für Führungskräfte.
  • Prekäre Arbeitsplätze mit kurzen Befristungen (diese sind zwar für alle Beschäftigten von Nachteil und verunsichern – sowohl Männer als auch Frauen –, treffen aber Frauen noch mal in doppelter Hinsicht, da eine befristete Stelle die Familienplanung und eine damit für die Frau in jedem Fall verbundene Mutterschutzzeit deutlich erschwert). Interessanterweise zeigen soziologische Studien, dass insbesondere Frauen auf befristeten Stellen (in Hochschulen) eingestellt werden.

Ein wichtiger Aspekt der strukturellen Diskriminierung ist: Sie ist den Beteiligten oft nicht mal direkt bewusst. Es handelt sich schließlich um die Gewöhnung an Mechanismen und Struk­tu­ren, die Frauen bereits seit langer Zeit fast automatisch oder auch indirekt und subtil be­nachteiligen. Viele unausgesprochene Regeln am Arbeitsplatz diskriminieren in­direkt Mütter. Denn es sind bestimmte Arbeitsabläufe, die ihre Lebensbedingungen, Möglichkeiten und Bedürfnisse nicht mitdenken. In vielen deutschen Unternehmen werden täglich lange An­we­sen­heits­zei­ten erwartet, es häufen sich Abendtermine oder es ist auch Flexi­bilität am Wochenende gefragt.

Spezielle Diskriminierung

„Spezielle Diskriminierungen“ sind die ganz konkreten und direkten Diskriminierungs­si­tu­ati­o­nen, die Mütter und Schwangere im Bewer­bungs­verfahren und am Arbeitsplatz er­le­ben. In der Frankfurter Karrierestudie mit über 1800 Befragten zeigte sich ganz deutlich, wie oft Frauen ganz konkrete Diskriminierungen in deutschen Unternehmen erleben. Die Ergebnisse sind erschreckend und betreffen die verschiedensten Diskriminie­rungs­for­men:

  • 72 % der Befragten gaben an, dass ihre Vorgesetzten als Reaktion auf ihre Schwangerschaft erstmal alle noch anstehenden Karriereschritte auf Eis legten oder komplett strichen.
  • Bei 48 % der Befragten wurden anstehende Gehaltserhöhungen aufgrund der Schwangerschaft gestrichen oder nur in verminderter Höhe ausgeführt.
  • Bei 30 % der Befragten wurde der Arbeitsplatz während der familienbedingten Auszeit dauerhaft durch einen anderen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin besetzt oder sogar ganz gestrichen.
  • Nur 68 % sind nach Mutterschutz und Elternzeit zu ihrem alten Unternehmen zurückgekehrt. Auch von diesen Frauen konnten jedoch 26 % ihre alte Position nicht wieder übernehmen. Somit kehrt nur rund die Hälfte der Frauen auf ihre alte Position im alten Unternehmen wieder zurück.
  • Stolze 65 % der Befragten haben die subjektive Objektivierung als Dis­krimi­nie­rungs­form erlebt. Dabei werden Pauschalurteile über „die Frauen“ oder „die Mütter“ ge­fällt. Eine Diskriminierungsart, die auch im Zitat drinsteckt, wenn „die Frauen“ kinderlos sofort alle Chefärzt*innen würden.
  • Mehr als 50 % der Mütter haben kollegiale Ausgrenzung erlebt. Auch diese Art der Diskriminierung steckt in dem Zitat drin, wenn Mütter-Bashing und Victim-Blaming aufeinander treffen.
  • Als direkte Reaktion auf die Schwangerschaft ihrer Mitarbeiterin hat jede(r) 7. Vorgesetzte negativ reagiert, etwa mit Entsetzen oder versuchter Kündigung.

Interessant ist vor allem, dass es immer noch – trotz AGG und Antidiskriminierungsstelle – Arbeitgeber gibt, die bei ihren Diskriminierungen unvorsichtig vorgehen oder sogar der Ansicht sind, sie wären im Recht.

Konkrete Beispiele

Diskriminierung im Rahmen von Vorstellungsgesprächen und Bewerbungsverfahren

Diskriminierende Stellenausschreibungen sind inzwischen seltener geworden (bei­spiels­weise, wenn gezielt nach einem „Piloten“ gesucht wird statt nach „einem Piloten oder einer Pilotin“). Diskriminierung in Ausschreibungen löst noch nicht die Rechtsfolgen Entschädigung und Schadensersatzanspruch aus, da nicht die einzelne Beschäftigte/Bewerberin dis­kri­mi­niert wurde. Sehr wohl sind derartig formulierte Ausschreibungen jedoch von Belang, wenn sich eine Frau auf eine derartige Stelle bewirbt und abgelehnt wird. Der diskriminierende Ausschrei­bungs­text gilt dann als Indiz für eine Diskriminierung der Bewerberin.

Unzulässige Fragen

In Vorstellungsgesprächen ist eine häufige Diskriminierungsform, dass immer noch häufig unzulässige Fragen gestellt werden:

  • Sind Sie schwanger?
  • Wollen Sie Kinder bekommen?
  • Haben Sie Kinder?
  • Wie wollen Sie Job und Kinder vereinbaren?
  • Welche Kinderbetreuung haben Sie?
  • Wollen Sie in Teilzeit arbeiten?
  • Sind Sie bereit, umzuziehen?

Dabei ist nicht wichtig, ob die Bewerberin auf diese Fragen auch ge­antwortet hat und die Beantwortung der Fragen eine Ablehnung der Bewerbung zur Folge hat.

Diskriminierende Bewertungen sind verboten

Bei der Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern dürfen bei der Überprüfung der Qualifikation keine diskriminierenden Kriterien in die Bewertung einbezogen werden. Phasen der Teilzeitbeschäftigung im Lebenslauf dürfen sich also nicht negativ auf die Be­wer­tung der Bewerberin auswirken. Hier kann wieder von einer mittelbaren Diskriminierung ausgegangen werden, da Teilzeitarbeit zumeist von Frauen geleistet wird. Selbstverständlich darf bei der Auswahl des Personals auch nicht berücksichtigt werden, ob die Bewerberin Kinder hat oder geplant hat, Kinder zu bekommen. Hier würde es sich um eine unmittelbare Diskriminierung handeln. Problematisch ist es, wenn Stellen gar nicht erst ausgeschrieben werden und der Buddy-Faktor darüber entscheidet, welcher Mann die Stelle bekommt.

Geschlechterklischees wirken auch unterbewusst

Hinzu kommt, dass Frauen und Männer oft auch unterbewusst unterschiedlich bewertet werden: Beispielsweise wenn die Frau als zickig oder schwierig gilt, der Mann hingegen als durchsetzungsstark. Oder wenn bei Frauen viele Veröffentlichungen als Monographie als „unsozial“ oder „nicht teamfähig“ ausgelegt werden, während es beim männlichen Bewerber dann heißt, er wäre besonders selbstständig. Eine diskriminierende Personalauswahl greift in das Persönlichkeitsrecht der Bewerberin/des Bewerbers ein und würde damit auch die Rechtsfolgen Schadensersatz und Entschädigung auslösen. Ganz wichtig ist hierbei, die Frist einzuhalten zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Schadensersatz oder Entschädigung. Diese be­trägt zwei Monate!

Diskriminierung im Rahmen eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses

Für Beförderungsverfahren gilt dasselbe wie für Einstellungsverfahren. Diskriminierende Kri­terien dürfen nicht in die Entscheidung zur Beförderung einfließen. Mittelbar dis­kri­mi­nie­rend ist es, wenn die Berücksichtigung von Teilzeitarbeit, Umzugsbereitschaft, Kriterien in Be­­zug auf die Verfügbarkeit der Beschäftigten oder auch die Dauer der Betriebs­zu­ge­hö­rig­keit Einfluss auf die Entscheidung zur Beförderung haben. Unmittelbar diskriminierend ist es, wenn Schwangerschaft oder Mutterschaft als Kriterium herangezogen werden. Auch wenn für Fortbildungen weniger Frauen angemel­det werden oder Weiterqualifizierungen insbesondere Vollzeitkräften vorbehalten sind, kann es sich um unmittelbare oder mittelbare geschlechtsbezogene Diskriminierung handeln. Weitere Diskriminierungen können im Rahmen der Arbeitszeitregelung auftreten. Werden bei­spielsweise Teilzeitbeschäftigte benachteiligt, weil sie von der Gleitzeit oder flexiblen an­de­ren Arbeitszeitmodellen ausgenommen werden, kann hier eine mittelbare Ge­schlechts­dis­kriminierung vorliegen.

Diskriminierung im Rahmen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses

In Bezug auf Kündigungen ist die Anwendung des AGG ein wenig knifflig. Im AGG selbst ist ausdrücklich festgelegt, dass das AGG nicht für Kündigungen gilt:

  • 2 Abs. 4 AGG

„Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und beson­de­ren Kündigungsschutz.“   Doch das Diskriminierungsverbot muss auch für Kündigungen gelten, da das AGG sonst europarechtswidrig wäre. Hierzu gibt es auch bereits einige Gerichtsurteile beispielsweise des Bundesarbeitsgerichts, die eindeutig besagen, dass eine ordentliche Kündigung un­wirk­sam ist, wenn sie Beschäfigte* aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert. Daher darf auch bei einer Kündigung nicht an eines der Merkmale – also auch nicht an das Geschlecht – angeknüpft werden. Das bedeutet, dass eine Kündigung, die aufgrund einer Schwangerschaft ausgesprochen wird, unwirksam ist. Dasselbe gilt, wenn der Kündigungsgrund eine beabsichtigte Schwan­gerschaft oder die Pflege und Betreuung von Kindern ist. Hier liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor. Während einer Schwangerschaft und in den ersten vier Monaten nach der Geburt ist eine Kündigung auch laut Mutterschutzgesetz verboten.

Betriebsbedingte diskriminierende Kündigungen

Auch wenn bei betriebsbedingten Kündigungen (oder auch Abfindungsregelungen und Sozialplänen) Kriterien wie Betriebszugehörigkeit oder Unterhaltspflichten angewendet wer­den, liegt eine mittelbare Diskriminierung vor. Aufgrund der sozialen Rolle von Frauen bzw. Müttern sind familienbedingte Pau­sie­run­gen deutlich häufiger und länger als bei Männern, so dass sie hierdurch eine kürzere Be­triebszugehörigkeit haben könnten. Auch die Frage nach den Unterhaltspflichten be­nach­teiligt einseitig die Frauen, da diese davon seltener betroffen sind. Im schlechtesten Fall würde dem unterhaltspflichtigen getrennt lebenden Vater nicht gekündigt. Der alleinerziehenden Mutter aber schon. Mit Verweis auf die Unterhaltspflicht. Dies stellt ganz offensichtlich eine Diskriminierung dar.

Folgen der Diskriminierung

Die Diskriminierung von (werdenden) Müttern hat negative Folgen für die jeweiligen Frauen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes. Das Erleben einer Diskriminierung kann die Betroffenen kränken. Viele fühlen sich auch ohnmächtig und hilflos oder schämen sich dafür. Diskriminierungen oder auch anhaltendes Mobbing können die Frauen sogar regelrecht traumatisieren. In der Folge werden manche von ihnen krank.   Doch neben der emotionalen Belastung kommt die Unsicherheit des Arbeitsplatzes noch hinzu. Werden die Stellen von Müttern gestrichen oder dürfen sie nur noch in Teilzeit oder auf eine niedriger entlohnte Stelle zurückkehren, so hat die Diskriminierung für sie auch ganz handfeste finanzielle und berufliche Nachteile. Diese finanziellen Nachteile machen sich meist ein Leben lang bei Frauen bemerkbar, bis ins Rentenalter. Die finanziellen Einbußen bewirken natürlich auch eine ökono­mi­sche Abhängigkeit vom Partner und wirken sich damit auf das Geschlechterverhältnis und die Lebensqualität von Frauen aus.

Kinderlose Frauen werden auch diskriminiert

Bei vielen Vorgesetzten herrscht offenbar noch die Vorstellung, eine Beschäftigte, die Mutter wird, würde nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, sollte dies auch besser nicht, wäre ab sofort auch nicht mehr belastbar und sie würden dem Betrieb einen Gefallen tun, wenn sie die Mutter loswerden. Dies hat den Effekt, dass nicht nur Mütter, sondern auch kin­derlose Frauen im potentiellen Familiengründungsalter geringere Chancen auf Führungspositionen haben als Väter, da diesen keine zeitliche Beanspruchung durch die Familie unterstellt wird. Diese anachronistischen und frauenfeindlichen Denk- und Handlungsweisen von Arbeit­ge­bern und Vorgesetzten führen also auch zu einer Benachteiligung von kinderlosen Frauen. Somit sind von der Diskriminierung von Schwangeren und Müttern letztlich alle Frauen und weiblich gelesene Menschen bis zu einem gewissen Alter be­troffen.

Diskriminierung kostet Milliarden

Doch nicht nur die Frauen leiden unter den Diskriminierungen. Wenn gut ausgebildete und berufserfahrene Frauen nicht mehr in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden oder mit Stellen beschäftigt werden, die unterhalb ihres Qualifikationsniveaus liegen, dann ent­geht auch dem Arbeitsmarkt das weibliche Potential. Daraus resultiert ein enormer volkswirtschaftlicher Schaden, den sich die deutsche Wirtschaft leistet. So resümmiert Professor Stefan Sell von der Hochschule Koblenz: „Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass wir uns eine unglaubliche Verschwendung von Qualifikation, von Wissen, von Leistungsfähigkeit erlauben, durch die vielen strukturellen Hindernisse, die wir den qualifizierten Müttern in den Weg legen. Der Schaden geht in die Milliarden, das können wir uns eigentlich gar nicht mehr erlauben.“   Zudem schaffen wir mit diesen Diskriminierungen unzufriedene Mütter – was sich wiederum auf die gesamte Familie auswirkt. Und ganz nebenbei wird auch der Rechtsapparat noch beschäftigt.

Tipps für Betroffene

Wer denkt, er könnte von Diskriminierung betroffen sein, sollte sich rechtlich beraten lassen. Dafür kann beispielsweise ein Anwalt/eine Anwältin für Arbeitsrecht aufgesucht werden. Aber auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes ist eine gute erste Anlaufstelle. Benachteiligte Personen können sich auch von Antidiskriminierungsverbänden unter­stützen lassen. Im Falle eines Prozesses können diese z.B. als Beistand für die diskriminierte Person auftreten.

Wie kann man sich im Vorfeld einer möglichen Diskriminierung verhalten?

Wenn es darum geht, ob man seinen großen Kinderwunsch oder eine seit kurzem bestehende Schwangerschaft mitteilt, ist hiervon eher abzuraten. Wenn man an seinem Arbeitsplatz Tätigkeiten zu verrichten hat, die entsprechend des Mutterschutzgesetzes von Schwangeren nicht mehr erfüllt zu werden brauchen, dann ist es natürlich schon ratsam, frühzeitig seinen Arbeitgeber über die Schwangerschaft zu unterrichten. Bei unzulässigen Fragen: Lügen – und hinterher entscheiden, ob man überhaupt in einem diskriminierenden Umfeld arbeiten will.

Nichts von Wert wurde je ohne Mut erstritten

Supermutig aber auch superwirksam ist für das Vorstellungsgespräch auch, sich nicht unter Wert zu verkaufen und Bedingungen zu stellen. Was viele Frauen nicht wissen: Männer stellen diese Bedingungen ganz selbstbewusst nach einer höheren Eingruppierung oder Einstufung beim Gehalt oder dass sie bestimmte Tage frei brauchen oder erstmal nur halbtags beginnen können, weil sie noch ein Projekt nebenbei fertigstellen. Frauen stellen nicht nur keine Bedingungen. Sie machen oftmals auch noch unnötige Zugeständnisse, z.B.: „Wenn es nicht anders geht, würde ich auch sofort anfangen“ (auch wenn ich nicht weiß wie ich dann mit den 70-Std-Wochen zurecht kommen soll) oder „Eine angemessene Eingruppierung wäre toll, aber ich würde auch für weniger anfangen.“

Klar machen: ich komme wieder

Bei der Absprache der Elternzeiten ist es von Vorteil, wenn man zu­vor mit seinem Partner ganz klare Absprachen getroffen hat und ge­klärt hat, wer wann für wie lange in Elternzeit geht und/oder seine Arbeitszeit reduziert. Wer gut vorbereitet ist, kann dann auch im Gespräch mit dem Arbeitgeber selbstbewusst auftreten und dort seine Wünsche nach der Elternzeitregelung kundtun. Positiv wirkt es sich auch aus, wenn man in dem Planungsgespräch zum Ausstieg den Wie­der­einstieg ebenfalls direkt in den Blick nimmt und auch bespricht, inwiefern während der Elternzeit der Kontakt zum Arbeitgeber gehalten werden soll. Schwangere sollten deutlich machen, dass sie in jedem Fall wiederkommen werden.  

Was und wen brauchen wir?

Die Vereinbarung von Beruf und Familie wird in Deutschland also auch von Arbeitge­ber­seite nicht nur mangelhaft unterstützt sondern viel zu oft auch regelrecht er­schwert und unterwandert. Wenn wir Beruf und Familie gelingend vereinbaren wollen, braucht es vor allem eins:   Väter, die vereinbaren und Arbeitgeber, die Eltern unterstützen und ihnen nicht auch noch Steine in den Weg legen. Was es nicht braucht sind Mütter, die sich noch mehr als ohnehin schon abmühen, die Vereinbarung irgendwie gegen alle widrigen Umstände und ohne Unterstützung durch Väter und Arbeitgeber zu schaffen. Und was es ganz sicher auch nicht braucht sind diejenigen, die Frauen abverlangen, sich für Kinder oder Karriere zu entscheiden. Diese Rolle rückwärts passt weder zu den Bedürfnissen der Frauen noch zu denen der Kinder noch zu denen der Gesellschaft. Wir brauchen top-qualifizierte Frauen auch in ihren Berufen. Wir brauchen Mütter, die zufrieden und ausgeglichen sind und ihre eigenen Bedürfnisse und berufliche Entwicklung nicht für die Kinder geopfert haben. Wir brauchen Männer, die ganzheitlicher leben, denken und fühlen, weil sie ihre fürsorglichen Anteile nicht abspalten mussten. Wir brauchen Paare, die gleichberechtigt leben jenseits von Machtverhältnissen und Abhängigkeiten. Wir brauchen Kinder, die gleichberechtigte Partnerschaften vorgelebt bekommen. Wir brauchen Eltern, die ihren Kindern vorleben, dass sie unabhängig vom Geschlecht private und berufliche Ziele verwirklichen dürfen und können! Wir brauchen Führungskräfte, die die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln und keine Kliniken in denen Chefärzt*innen grundsätzlich Personen sind, die noch nie Care-Arbeit im Privaten geleistet haben.

Weniger ist mehr

Für Mütter ist es lediglich wichtig, sich ein wenig von der Sehnsucht nach gesellschaftlicher Anerkennung frei zu machen. Zu hohe Ansprüche abzulehnen und nicht zu viel von sich selbst zu erwarten. Das kranke Mutterbild und überhöhte Anforderungen im Freundes- und Familienkreis anzusprechen und als solche zu entlarven. Hier hilft es oft nur Aufklärungsarbeit zu leisten. Doch das heißt nicht, dass Mütter die Verantwortung für die Aufklärung der Väter oder der Gesellschaft haben. Diese sind dazu aufgerufen, sich selbst zu informieren und zu engagieren.

Was wir dringend von der Politik/Arbeitgeberseite brauchen sind:

  • Diskriminierungsfreie Bewerbungsverfahren, Schulungen zum Unconscious Bias (unterbewusste Vorurteile und Vorannahmen) und zum AGG für Personaler*innen und Führungskräfte
  • Gleiche Entlohnung von Frauen und Männern (auch im Hinblick auf entgeltwerte Sachleistungen, die im Gender Pay Gap noch gar nicht berücksichtigt sind!)
  • Führungspositionen in Teilzeit, zB mit Doppelspitzen
  • Möglichkeiten zur Stundenreduzierung mit Rückkehrrecht auf Vollzeit
  • Telearbeits-, Homeoffice-, Mobile Office-Arbeitsplätze
  • Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten für 0-12jährige mit sinnvollen Öffnungszeiten. Hierunter fallen auch Ferienbetreuungsangebote und die Lösung der Hausaufgabenproblematik an Ganztagsschulen.
  • Kontakthalteprogramme für Eltern in familiärer Auszeit
  • Vaterschutz einführen wie von der EU gefordert.
  • Flächendeckend mindestens 10 Krankheitstage für Mütter und Väter je Kind. Beamte und Partner von Beamten sind besonders betroffen (nur 4 Tage je Kind oder 5 für alle Kinder)

 

Pro Quote in der Medizin!

Und last but not least: Wir brauchen die Frauen-Quote in der Medizin wie vom Deutschen Ärztinnenbund seit Jahren gefordert! Während der Frauenanteil unter den Studierenden der Humanmedizin bei 61% liegt (unter den Absolvent*innen sind es sogar 65%), haben wir nur 33% weibliche Oberärzt*innen. Der Frauenanteil unter Lehrstuhlinhaber*innen, Direktor*innen und unabhängigen Abteilungsleiter*innen in der Humanmedizin an deutschen Unis liegt nur noch bei 10%. Die Range reicht hier übrigens von 23% in Hamburg bis hin zu 0% in Mannheim, Greifswald und Homburg. Die Leaky-Pipeline ist auch 2019 noch bittere Realität in der Medizin.

Aktuell findet keine Auswahl rein nach Qualifikation statt

Wir können uns auf die Grundhaltung einigen, dass Frauen und Männer gleichermaßen gute Mediziner*innen sind. Besetzen wir nun aber den allergrößten Teil der Führungspositionen mit Männern, dann haben wir auf diesen Stellen nicht die Besten sitzen. Das ist keine Auswahl nach Qualifikation! Wir brauchen also auch in der Medizin eine Frauenquote. Erst wenn auch von Arbeitgeberseite mit Nachdruck Frauen für diese Positionen berücksichtigt werden müssen, werden genügend Bemühungen unternommen, um die leaky pipeline zu stopfen.   Erst dann wird es ernsthaft um die Frage gehen: Wie geht denn Chefärzt*in und Familie gut zusammen? Oder auch: Wie können wir Beschäftigten die Vereinbarung von Familie und Karriere ermöglichen? Und es wird nicht mehr darum gehen überholte Strukturen zu konservieren und hochqualifizierte Frauen an die Wahl „Kinder oder Karriere“ zu verlieren. Frauen vor diese Wahl zu stellen ist sexistisch und diskriminierend. Deshalb ist auch das Zitat sexistisch: „Wenn Frauen aufhören Kinder zu bekommen, werden sie auch eher Chefärzt*innen“.

Wut und Frust lieber als Motoren des Wandels nutzen

Strukturen am Arbeitsplatz zu bemerken, die Frauen massiv benachteiligen, kann enorm frustrierend sein. Und vielleicht ist diesem Frust auch das Zitat entsprungen. Als zugespitzte Beschreibung sexistischer Zustände. Nicht als Gutheißung dieser. Doch das Gute an Frust und Wut und Ärger ist: Es sind DIE Motoren, um Ungerech­tig­keiten und Diskriminierungen zu bekämpfen und patriarchale Strukturen einzu­reißen.

Mehr zu diesem Thema steht u.a. in meinen Büchern:
„Mütter unerwünscht – Mobbing, Sexismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz“
„Mütterterror – Angst, Neid und Aggressionen unter Müttern“
„Wenn Mutter Sein nicht glücklich macht – Das Phänomen Regretting Motherhood“