Gastbeitrag von Sebastian Tippe (Dipl.-Pädagoge, antisexistische Kinder- und Jugendarbeit)

„Die blaue Banane“ lautet der Titel eines aktuellen Theaterstücks des KinderTheaterHauses (Kleckstheater) Hannover, beworben unter anderen in der HAZ und auf der offiziellen Seite der Stadt Hannover. Am 10. Oktober 2018 besuchte ich als Betreuer einer Ferienbetreuung daher mit einer Kindergruppe das Theater. Dort erlebten wir dann tatsächlich unser „blaues Wunder“. Die permanente sexistische Darstellung sowie die Natürlichkeit der Präsentation häuslicher Gewalt waren erschreckend: Die anwesenden Kinder konsumierten diese ungefiltert und mit weit aufgerisse­nen Augen.

Der Herr des Hauses

Worum geht es in dem Stück? Auf der Seite der Stadt Hannover lässt sich folgender Text finden: „…Denn das wohlsituierte Ehepaar, um das es hier geht, gebärdet sich plötzlich sonderbar, geht auf eine Expeditionsreise im eigenen Wohnzimmer – aus dem überzeugenden Grund, dass der Herr des Hauses blaue Bananen zu finden wünscht. Schon entstehen in der guten alten Stube ein Dschungel samt Löwe, der Kilimandscharo und andere exotische Örtlichkeiten. Ab 5 Jahren von Anders Ramberg.“

Die Hausfrau und der Forscher

Und eben dieser „Herr des Hauses“ Monsieur Pompidou ist es, der seiner Ehefrau Madame Pompidou (klischeehaft gekleidet in rosa Rock, rosa hochhackigen Schuhen, rosa Schaal, rosa Perücke und mit rosa Regenschirm) in reinster sexistischer Manier die Welt erklärt (Stichwort „mansplaining“), ihr zeigt, wo sie als Frau in unserer Gesellschaft steht und dass auch Gewalt etwas völlig alltägliches ist. Bereits bei der Begrüßung zu Beginn des Stückes wird die gesellschaftliche Stellung der beiden Hauptprotagonist*innen deutlich:

Monsieur Pompidou sitzt auf einer hohen Leiter weit über seiner Ehefrau, während Madame Pompidou unter ihm sitzt – hier wird schon symbolisch dem noch folgenden Geschlechterverhältnis im Stück vorweggegriffen. Denn die untergeordnete Rolle wird Madame Pompidou in den folgenden 50 Minuten nicht mehr los. Sie sagt über sich selbst, sie sei vor allem eins: Ordentlich – die Geschlechterschublade lässt grüßen. Währenddessen unterbricht ihr Mann sie permanent und bewirft sie mit Müll, den sie „ganz in Hausfrauenmanier“ brav wieder wegräumt. Auch ist es ihre Aufgabe ihren Mann vorzustellen: Er ist Forscher.

Verkehrte Welt(karte)

Da Madame Pompidou einen Hut mit einer Pflanze auf dem Kopf trägt, wird sie nun von ihrem Ehemann durch den Bühnenbereich bis ins Publikum hin- und hergeschickt, damit er mit einem Fernglas besagte Blumen näher betrachten kann. Munter sexistisch geht es weiter: In ihrem Wohnzimmer wird über eine mögliche Reise nach Afrika gesprochen und diese „geprobt“: Dabei wird sofort klar, dass Madame Pompidou von solchen Dingen wie das Wissen über das zu bereisende Land oder dort lebende Tiere keine Ahnung hat. Nicht schlimm, denn ihr Mann ist ja der Forscher, Entdecker und Experte und seine Aufgabe besteht darin, seine Frau in allen auftretenden Situationen aufzuklären, zurechtzuweisen und zu belehren.

Diese Schieflage zwischen den Geschlechtern wird auf die Spitze getrieben, als Madame Pompidou sich die Karte von Afrika ansehen möchte, aber diese prinzipiell verkehrtherum hält und ihr Mann ihr erklären muss, wie rum eine Karte zu halten ist.

Doch auch vom Kofferpacken hat sie keine Ahnung: Während Monsieur sich auf die abenteuerliche Reise vorbereitet (Karte, Fernglas etc.), denkt Madame vor allem an eines: Klamotten, Sonnenbrille, Essen und Sonnencreme, was ihr Forscher-Mann natürlich verächtlich kommentiert. Spätestens an dieser Stelle drängt sich die Frage nach dem Sinn des Stückes auf. Soll hier wirklich das Thema sein, wie großartig Männer und wie dumm und einfältig Frauen angeblich sind?

Mansplaining oder Wie Frauen am besten um Hilfe rufen

Schließlich spielen die beiden Ehepartner gefährliche Szenen im Dschungel nach, in der – natürlich –die Frau von Krokodilen angegriffen wird. Hier wird für das kindliche Publikum gezeigt, was aus diesem wichtigen Theaterstück pädagogisch rauszuholen und erlernbar ist: Herr Pompidou erklärt seiner Frau, dass und vor allem wie sie am besten um Hilfe rufen muss. Dies geschieht nun während des Glanzstückes mehrere Mal um klar zu machen: Frau muss trainieren um Hilfe zu rufen, damit Mann sie retten kann. Dies tut er sogleich, indem er einen Baum fällt, damit sie sich vor den Krokodilen retten kann.

Apropos pädagogisch: Laut der Homepage des Theaters wurde die Einrichtung immer wieder von der Klosterkammer Hannover sowie der Region Hannover unterstützt für ihre theaterpädagogische Arbeit. Von dieser ist bei diesem Stück leider nichts zu sehen oder zu hören. Stattdessen werden den Kindern sexistische und diskriminierende Strukturen im manipulativen Theatergewand unter dem Deckmantel der Komik aufbereitet und präsentiert.

Verharmlosung von Gewalt gegen Frauen

Ganz „nebenbei“ wird zudem häusliche Gewalt völlig unkritisch dargestellt. Auch hier schreckt niemand des Theaters in der Kestnerstraße davor zurück, den Kindern aufzuzeigen, dass Gewalt von Männern gegen Frauen ganz normal und alltäglich ist und vor allem eines: unbestraft und legitim. Die Gewalt – mehrfache beabsichtigte Anrempler, Wegreißen von persönlichen Gegenständen oder Wegschubsen – wird von Madame Pompidou kommentarlos hingenommen und still erduldet.

Was und vor allem welches Rollenbild soll das Theaterstück unseren Kindern vermitteln? Jedenfalls kein gleichberechtigtes.

Frauenquote oder besser Männerquote?

Ach halt. Beinahe wäre es untergegangen: Kurz vor Ende des Stücks darf(!) Madame Pompidou einmal die Führung übernehmen und fuchtelt unbeholfen mit ihrem pinken Regenschirm in der Gegend herum, um sich durch den wilden Urwald zu kämpfen. Natürlich nicht ohne bissige Kommentare von Monsieur Pompidou über den angeblich fehlenden Orientierungssinn seiner Ehefrau. Aber natürlich kann auch hier noch einer drauf gesetzt werden: Das Paar streitet über den erhöhten Platz auf der Leiter. Der „Herr des Hauses“ will seiner Frau dieses Privileg vermiesen. Madame Pompidou argumentiert empört: „Hast du noch nie etwas von Frauenquote gehört?“ Darauf antwortet er abfällig mit wegwischender Geste: „Ach, jetzt ist Zeit für Männerquote.“ Und als die blaue Banane, die gesucht wurde, schlussendlich von Madame Pompidou gefunden wird, nimmt Monsieur Pompidou sie in die Hand um zu sagen: „Ich habe sie gefunden.“

Verdummungs-Politik

Dies setzt dem ganzen sexistischen Gestammel die Krone auf: Männer leben in einer männerdominierten Welt, in der sie als Privilegierte jegliche Vorzüge erhalten, die Frauen verwehrt bleiben. Während diese Benachteiligung und Diskriminierung erleben. Und für diese privilegierten Männer spricht sich Monsieur Pompidou für eine „Männerquote“ aus. Mal davon abgesehen, dass sich hier über das Konzept der Frauenquote nicht nur lustig gemacht sondern dieses auch bis zur Unkenntlichkeit verdreht wird. Frauenquote wird als etwas dargestellt, was unfähige Frauen benutzen, um auf die Positionen der fähigen Männer zu kommen. Eine politische Entgleisung, die in einem Kindertheater nichts zu suchen hat. Zumal die Frauenquote ja tatsächlich im Sinn hat, dass bei gleicher Qualifikation nicht länger die Frauen das Nachsehen haben.

Zudem wird in der Szene sehr deutlich, dass Madame Pompidou durch ihre eingeschränkte, dümmliche und unterwürfige Präsentation den Platz auf der Leiter als Forscherin und Entdeckerin durch eigene Fähigkeiten niemals erhalten wird. Ein Spiegel des vorherrschenden Patriarchats, vor allem wenn bedacht wird, dass struktureller Sexismus ja auch bedeutet: Frauen machen häufiger und ein besseres Abitur als Männer, absolvieren einen besseren Universitätsabschluss und erhalten trotzdem kaum die Chance auf Führungspositionen, da lieber schlechter qualifizierte Männer eingestellt werden. Wo kämen wir denn da auch hin, wenn Frauen dieselben Chancen wie Männern eingeräumt werden würden?

Bei diesem Stück handelt es sich also nicht um politische Bildung sondern um politische Anti-Bildung.

was HAT MAN(N) sich BEI DIESEM STÜCK GEDACHT?

Beim Betrachten dieses Stückes drängt sich die Frage auf: Wer schreibt ein durch und durch sexistisches Theaterstück (für Kinder), in dem es um nichts anderes als um die Abwertung und Erniedrigung der Frau und die Darstellung der angeblichen Allmacht des Mannes geht? Wer ist Anders Ramberg, der Kindern diese diskriminierende Weltansicht so gerne nahe bringen möchte? Männer erklären Frauen die Welt, Männer sind Wissenschaftler, Männer sind Macher, Männer haben Macht, Männer bestimmen über Frauen, Männer dürfen Frauen Gewalt antun. Und Frauen sind in diesem Stück vor allem eines: An Mode und Nahrung interessiert, an das unkritische Bedienen von Männern und das Ertragen von Gewalt gewohnt und dumm.

Schadensbegrenzung

Wir haben uns mit den 16 Kindern, mit denen wir die Vorstellung besucht haben, im Anschluss eine Stunde zusammengesetzt und das Gesehene reflektiert, um den Sexismus und die Gewaltdarstellungen zu thematisieren, damit die Kinder nicht mit dem Gefühl nach Hause gehen: Das sei normal und richtig.

Wie kann es sein, dass so ein Stück beworben und durch das Klecks Theater aufgeführt wird und für die Entwicklung von Kindern einen positiven Effekt haben soll? Es werden unreflektiert patriarchale, einseitige, stereotype Geschlechterbilder reproduziert. Diskriminierung, Gewalt gegen Frauen und Benachteiligung von Frauen werden in diesem Stück legitimiert.

Und dies wird verpackt in ein Kindertheater ungefiltert unseren Kleinsten übergestülpt, um ja eines beizubehalten: Die Vormacht-Stellung des Mannes.

Gegenprobe gefällig?

Besonders drastisch wird deutlich auf wie vielen Ebenen dieses Stück falsch und gefährlich ist, wenn  man es sich in umgekehrter Rollenbesetzung vorstellt:

Die Frau als erfolgreiche Forscherin, die ihren Mann von A nach B hetzt, die ihm – der noch nicht einmal eine Karte richtig herum halten kann und lieber Kaffee trinkt anstatt zu forschen und zu entdecken – die Welt erklären muss, die ihm beibringen muss, wie er richtig um Hilfe schreit, um ihn dann zu retten, die ihm Gewalt antut, die ihn mit Müll bewirft, die ihn belächelt und als dumm auf den vermeintlich rechten Platz verweist. So eine umgedrehte Rollenverteilung kommt uns absurd und surreal vor, weil wir tagtäglich von sexistischen Bildern manipuliert werden. An diesem Gedankenspiel wird die einseitige und abwertende Darstellung von Frauen deutlich. Dabei wäre es an der Zeit, starke und erfolgreiche Frauen zu zeigen, die auch den Männern erklären können, wie die Welt funktioniert und eines gäbe es in dieser Welt sicherlich nicht: Ein Schundstück reinsten Sexismus wie „Die blaue Banane“ von Anders Ramberg aus Hannover.

Beschwerden

Die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Hannover, Friederike Kämpfe, hat meine Kritik am Stück erhalten. Wer sich direkt beim Klecks-Theater beschweren möchte, kann dies hier tun: kontakt@freies-theater-hannover.de