Bestmöglicher Schutz vor einem Geburtstrauma durch Gewalt
Viele Schwangere sind verunsichert aufgrund der Zustände, die in der Geburtshilfe und in den Kreißsälen herrschen. Sie möchten wissen, wie sie sich optimal auf die Geburt vorbereiten können. Und wie sie sich vor Respektlosigkeiten, Übergriffen, unnötigen Eingriffen und Gewalt schützen können.
Zunächst muss hier erwähnt werden, dass es keinen Tipp der Welt gibt, der einem garantiert, eine gewaltfreie Geburt zu erleben. Außer dem, nicht schwanger zu werden, vielleicht. Aber es gibt auch keine Garantie, nicht von einem Auto überfahren zu werden, es sei denn man verlässt nie das Haus. Ich nehme an, dass Ihr meinen Text lest, weil Ihr vor habt, das Haus zu verlassen bzw. ein Kind zu bekommen. Wofür man nicht unbedingt das Haus verlassen muss, aber dazu kommen wir unter Punkt 4.
Es gibt also keine 100%-ige Garantie. Dennoch können Gebärende etwas dafür tun, um bestmöglich geschützt zu sein. Dies gilt auch für ihre Begleitpersonen und geht schon ab Beginn der Schwangerschaft. So wie der Fußgänger nicht auf der Autobahn spaziert und der Radfahrer einen Helm tragen kann. Und so können sich auch Schwangere eigenverantwortlich auf eine möglichst selbstbestimmte Geburt vorbereiten.
Deshalb präsentiere ich Euch hier nun 10 Tipps, die das Risiko senken, Gewalt unter der Geburt zu erleben:
1. VORERFAHRUNGEN
Habt Ihr bei einer vorangegangenen Geburt oder Eurer eigenen Geburt Gewalt erlebt oder seid traumatisiert? Dann ist es gut, dies am besten noch vor der Schwangerschaft spätestens aber bis zur Geburt aufzuarbeiten. Dies gilt auch für Traumatisierungen durch Fehlgeburten, Stille Geburten, Schwangerschaftsabbrüche, Mißbrauch in der Kindheit, sexuelle oder körperliche Gewalt. Je weniger Ihr vorbelastet seid, je mehr Ihr die Wunden der Vergangenheit bestmöglich aufgearbeitet habt, umso geringer ist das Risiko. Sonst könnte Euch unerwartet während der Geburt das alte Trauma einholen. Oder Euch triggert eine ohnehin verletzende Bemerkung oder Handlung noch stärker. Dann könntet Ihr unter der Geburt vermutlich nicht stark und selbstbestimmt für Euch eintreten.
Achtung: auch Geburtstraumata von Euch nahe stehenden Personen (Schwester, beste Freundin), können sich negativ auf Euch auswirken. Auch diese sollten vorher nochmal genau angeschaut werden!
2. HEBAMME
Der Schwangerschafts-Test ist positiv. Nun heißt es schnell sein. Wartet nicht zu lange mit der Suche nach einer Hebamme für die Vor- und Nachsorge oder auch mit der Suche nach einer Beleghebamme für die Geburt. Es ist beruhigend, eine Hebamme für die Vorsorge zu haben. Zu wissen, dass man im Wochenbett von einer Hebamme betreut wird, lässt Euch entspannter und zuversichtlicher in die Geburt gehen. Außerdem muss man in vielen Regionen leider enorm schnell sein, um noch eine Hebamme zu ergattern!
Eine Beleghebamme ist besonders empfehlenswert für diejenigen, die nicht mit einer ihnen fremden Frau entbinden wollen. Aber auch wenn Ihr vermeiden wollt, Euch durch die Schichtwechsel der Klinikhebammen, unter der Geburt mehrfach auf neue Hebammen einzustellen. Es entspannt und bringt ein gewisses Maß an Sicherheit mit sich, wenn man zu der Hebamme, die bei der Geburt dabei ist, bereits im Vorfeld eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen kann.
3. DOULA
Sucht Euch bitte eine Doula. Seit Jahren rate ich Schwangeren dazu, eine Doula zur Geburt mitzunehmen. Noch nie gab es so viele Doulas in Deutschland wie jetzt. Die Chancen auf eine Geburtsbegleiterin stehen einigermaßen gut, wenn Du direkt nachdem Du Dir eine Hebamme gesichert hast, das Telefon in die Hand nimmst und mit einer Doula einen Kennenlern-Termin ausmachst! Es ist wissenschaftlich in Studien nachgewiesen worden: die Eingriffszahlen bei einer Geburt sinken drastisch allein durch die Anwesenheit einer Doula (50% weniger Kaiserschnitte, 41% weniger Saugglocke/Zange, 39% weniger Wehenmittel, 28% weniger Schmerzmittel)! Die Wahrscheinlichkeit, mit der Geburt zufrieden zu sein, ist bedeutend höher als bei Geburten ohne Doula (33% weniger unzufriedene Mütter). Die Gebärenden haben nicht nur weniger Geburtsverletzungen. Die Doula wirkt sich auch noch nach der Geburt aus, denn es werden mehr Babys voll gestillt, wenn eine Doula bei der Geburt dabei ist.
Obwohl der Doula-Effekt enorm ist, bezahlen in Deutschland Eltern die Doulas privat. Sie können aber versuchen, die Rufbereitschaftspauschale von der Krankenkasse übernehmen zu lassen. Und sie können versuchen, die Doula-Kosten bei der Steuer abzusetzen. Wer sich das Honorar für die Doula nicht leisten kann, kann bei dem Verein
Doulas in Deutschland eine Kostenübernahme beantragen. Außerdem gibt es vereinzelt auch schon gute Erfahrungen mit einer Bezuschussung der Kosten durch Sozialverbände, Caritas, AWO etc. Es lohnt sich, diese Wege zu versuchen.
4. GEBURTSORT
Macht Euch Gedanken über den Geburtsort! Ich möchte Euch wärmstens empfehlen, eine Hausgeburt oder eine Geburt im Geburtshaus in Betracht zu ziehen! Lest Euch mal die Zahlen aus den Qualitätsberichten durch: Geburten zu Hause und im Geburtshaus sind sicher! In vielerlei Hinsicht sind sie für diejenigen, die nicht aufgrund irgendeiner Vorerkrankung in die Klinik müssen, sogar sicherer! Ihr wollt Euch unnötige Eingriffe ersparen: dann seid Ihr im Geburtshaus oder zu Hause am besten aufgehoben!
Der Hauptgrund weshalb viele sich davor scheuen, außerhalb einer Klinik ein Kind zu bekommen: sie haben ihr Leben lang Vorurteile und Falschdarstellungen über außerklinische Geburten gehört und die Klinik-Geburt erscheint ihnen allein durch die mediale Berieselung als das Natürlichste der Welt. Dabei gibt es in Kliniken nur noch 5% solcher natürlicher Geburten ohne Interventionen. Viele sind dann überrascht, wenn sie sich mit den Statistiken auseinandersetzen und sehen wie sicher außerklinische Geburten sind. Lasst Euch nicht von anderen in Panik versetzen und überlegt, wer an Eurer Angst verdient!
Ihr habt immer noch Berührungsängste? Seht Euch das Geburtshaus wenigstens mal an. Macht den Geburtsvorbereitungskurs im Geburtshaus und schaut, ob Ihr Euch dort nicht dann doch sehr wohl und gut aufgehoben fühlt. Tauscht Euch mit Müttern aus, die ihr Kind Zuhause oder im Geburtshaus bekommen haben! Das heißt nicht, dass es nur in Kliniken zu Übergriffen kommen kann. Aber die Gefahr ist dort wesentlich größer!
Ihr müsst oder wollt in einer Klinik entbinden? Lest Euch Klinikbewertungen durch und informiert Euch bei anderen Müttern! Und noch ein ganz heißer Tipp für alle, die in die Klinik müssen oder wollen: bleibt solange wie möglich Zuhause! Verbringt die ersten Stunden der Wehen noch dort wo Ihr Euch wohl fühlt und Ihr Eure Privatsphäre habt! Es ist erst an der Zeit in die Klinik zu fahren, wenn Ihr Euch Zuhause absolut nicht mehr wohl fühlt! Eine Geburt dauert lange, in den ersten Stunden ist es tausendmal angenehmer bei gedimmten Licht, mit sanfter Musik auf dem heimischen Sofa zwischen Kissen und Decken, durchs Wohnzimmer tigernd oder tanzend oder im eigenen Garten die Wehen zu veratmen als auf einer harten Liege im CTG-Zimmer einer Klinik mit grellem Licht und weißen Kacheln an der Wand mit fremden Leuten um Euch und Schreien aus dem Kreißsaal nebenan.
Wenn bei Euch Stresshormone ausgeschüttet werden während der Geburt, dann hemmt das den Geburtsverlauf. Stresshormone sind die Gegenspieler zum Oxytocin! Zum einen befördert die Klinik-Atmosphäre die Ausschüttung von Stresshormonen. Zum anderen werden in einer Klinik bei stockenden Geburten nicht etwa die stressenden Faktoren abgestellt sondern Eingriffe durchgeführt! Entzieht Euch dieser Spirale und sorgt selbst für möglichst viel angenehme und entspannte Atmosphäre bei Eurer Geburt!
5. INFOS
Holt generelle Informationen ein über Eure Rechte, die Physiologie der Geburt und die Klinikabläufe. Lest das Buch
Gewalt unter der Geburt, seht Euch den Film „Die sichere Geburt“ an, lest die „Katzenfabel“ und informiert Euch bei der
Roses Revolution und bei
Gerechte Geburt über die Erfahrungen anderer. Ihr müsst vor jedem Eingriff, vor jeder Untersuchung erst um Eure Einwilligung gebeten werden und über den Eingriff aufgeklärt werden! Es darf kein Eingriff ohne Eure Einwilligung durchgeführt werden! In vielen Kliniken kommt man um das Legen der Braunüle, um ein Dauer-CTG oder um die Oxytocin-Spritze nicht herum! Informiert Euch darüber welche Eingriffe wie oft durchgeführt werden und was wirklich evidenzbasiert ist. Von 1000 CTG-Aufzeichnungen sind 550 falsch! In vielen Kliniken herrscht die „geheime“ Order, dass Eure Geburt nach 720 Minuten beendet sein muss. Das sagt Euch so keiner. Aber Ihr werdet entsprechend zu beschleunigenden Maßnahmen gedrängt, wenn Ihr eventuell sonst nicht „schafft“ in den 720 Minuten zu bleiben!
Ihr findet die Vorstellung gar nicht gut, zu gebären mit einer von der Braunüle schmerzenden Hand, mit drückenden Gurten um den Bauch, dem CTG-Geräusch in den Ohren stundenlang auf dem Rücken in einem Raum liegend, in den ständig fremde Personen hereinkommen, die sich nicht vorstellen, und die Euch direkt zwischen die Beine gucken können? Dann denkt vielleicht nochmal über Punkt 4 nach. Natürlich muss es nicht in jeder Klinik so ablaufen – aber in den Kliniken ist diese Gebär-Atmosphäre durchaus üblich und keinesfalls die Ausnahme!
6. FRAGEN
Geht auf die Infoabende (Vorsicht: das sind reine Werbeveranstaltungen – nichts von dem was hier versprochen wird, müssen die Kliniken hinterher halten), stellt dort die Fragen, die Euch wichtig sind. Das können Fragen zu der Dammschnittrate oder der Kaiserschnittrate sein. Ihr könnt fragen, ob Dauer-CTG oder Braunüle zum Pflicht-Programm gehören. Lasst Euch das notfalls schriftlich geben!
Erkundigt Euch wie viele Hebammen an der Klinik angestellt sind und wie viele Kinder hier auf die Welt kommen. Fragt nach einem Hebammenkreißsaal mit der Möglichkeit einer Geburt ohne Ärzt*innen. Vielleicht interessiert Euch auch, ob es die Möglichkeit zur ambulanten Geburt gibt und ob man die Nabelschnur auspulsieren lassen kann (dann unbedingt fragen, wie lange sie auspulsieren darf – 1 Minute zu warten hat nichts mit dem Auspulsieren zu tun!) Seid penetrante Fragenstellerinnen, die nachbohren und sich im Zweifelsfall die Antworten schriftlich geben lassen!
7. PATIENTINNENVERFÜGUNG
Erstellt mit Hilfe einer Doula, Geburtsvorbereiterin, Familientherapeutin oder Bindungsanalytikerin eine justiziable Patientinnenverfügung statt eines Geburtsplans (eine Erläuterung dazu findet Ihr in meinem Blog-Artikel:
„Justiziable Patientinnenverfügung statt Geburtsplan“). Gerne berate ich Euch auch (persönlich, telefonisch, per Mail) und wir erstellen gemeinsam Eure individuelle Patientinnenverfügung. Frauen aus Hannover und Umgebung können auch meinen Kurs dazu ab März 2019 besuchen:
„Achtsame Geburtsvorbereitung“
8. KURSE
Besucht je nach Geschmack Kurse zum Hypnobirthing, FlowBirthing, achtsamer Geburtsvorbereitung, Schwangeren-Meditation etc. und stärkt somit Euer Selbstvertrauen, Eure Zuversicht und Eure Selbstbestimmtheit!
9. PARTNER*INNEN
Eure Partner*innen müssen ebenso vorbereitet sein wie Ihr! Es ist nicht Eure Aufgabe, sie vorzubereiten, aber sagt Ihnen, dass Ihr das von ihnen erwartet! Sprecht vorher gemeinsam ab, was genau Ihr Euch unter der Geburt für ein Zusammenspiel als Team vorstellt. Eine Absprache bei einer Klinikgeburt könnte beispielsweise sein, dass sämtliche Äußerungen des geburtshilflichen Personals zum Geburtsfortschritt, zu Schwierigkeiten oder zu möglichen Eingriffen erstmal an Deine Begleitung herangetragen werden müssen und dass diese dann auf Basis Eurer intensiven gemeinsamen Geburtsvorbereitung entscheidet welche der Äußerungen Du wann mitgeteilt bekommen solltest. So wie es viele Paare in der Patientinnenverfügung schriftlich festlegen.
Eine andere Möglichkeit der Absprache wäre, dass Dein(e) Partner*in stoisch jede einzelne Person, die den Kreißsaal betritt fragt, wer sie ist und wozu sie im Kreißsaal ist. Er/Sie könnte auch jedes Mal, wenn ein Eingriff erfolgen soll, Dich nochmal explizit fragen „Willst Du das wirklich?“ Oder er/sie kann auch in jeder Situation, in der Du noch nicht vom Personal aufgeklärt oder um Einwilligung gebeten wurdest oder unsicher scheinst, sich 5 Minuten Zeit zu Zweit erbeten. Es ist Euch überlassen wie Ihr Eure Rollen aufteilt und welche Absprachen Ihr trefft. Nur sprecht vorher über Eure Erwartungen und Vorstellungen, es könnten schließlich unterschiedliche sein.
10. POLITIK
Und last but not least: Unterstützt Geburtshilfeaktivistinnen bei ihren Aktionen und Petitionen oder ruft selbst welche ins Leben. Beteiligt Euch bei
MotherHood,
Greenbirth,
Human Rights In Childbirth oder in ähnlichen Initiativen und Vereinen! Schreibt den Politiker*innen aus Kommune, Land und Bund! Teilt Artikel, die über die Situation in der Geburtshilfe aufklären. Werdet laut!
11. …to be continued…
…
Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Und manches trifft auch auf Eure Situation eventuell nicht zu. Es handelt sich lediglich um eine Sammlung von Anregungen – Ihr entscheidet, was zu Euch passt! Erwartet nicht von diesen Tipps oder von Euren eigenen Bemühungen, dass Sie einen 100%-igen Schutz bieten. Die Ursachen für Gewalt im Kreißsaal liegen nämlich zu 0% bei den Gebärenden. Die Gründe für übergriffiges und respektloses Verhalten den Gebärenden gegenüber sind multidimensional, kompliziert und vor allem strukturell und in den Personen, die die Gewalt ausüben, begründet. Deshalb kann die Gewalt auch nicht von Gebärenden allein abgeschafft werden. Hierzu bedarf es politischer Veränderungen und Politiker*innen, Gerichte, Anwaltschaft, Krankenkassen, Kliniken, Ärzt*innen und Hebammen müssen gemeinsam an einem Strang ziehen.
Du hast bereits ein Kind bekommen und fragst Dich, ob Du eine Geburt mit Gewalt oder/und eine traumatisierende Geburt erlebt hast?
In Teil 2 meiner 3-teiligen Blog-Reihe zum Thema Geburtstrauma geht es um
„33 Anzeichen für ein Geburtstrauma“. Und demnächst erscheint noch der dritte Teil zum Thema
„Traumatische Geburt – 15 Erste-Hilfe-Tipps“! Abonniere mich bei
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