Birth Rape in Deutschland
Jedes Jahr im November schreiben mir Mütter: „Es fühlte sich an wie eine Vergewaltigung“. Hebammenschülerinnen und Hebammen melden sich mit den Worten „Als wäre ich bei einer Vergewaltigung dabei gewesen“. Und dann weiß ich, dass der Roses Revolution Day wieder naht. Denn was die Frauen beschreiben ist Birth Rape. Am 25.11., dem Tag gegen Gewalt an Frauen, ist seit 2013 in Deutschland und vielen anderen Ländern auch der Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe. Seit ich mit meinem Buch „Gewalt unter der Geburt“ die Übergriffe öffentlich gemacht habe, legen immer mehr Betroffene am 25.11. rosa Rosen vor Kreißsaaltüren nieder. Die Rosen zeigen an, dass ihnen dort während der Geburt Gewalt angetan wurde.
Geburtshilfliches Personal zu lustlos?
Der Begriff Vergewaltigung (oder Birth Rape) ist in diesem Zusammenhang umstritten. Allerdings war er das vor 20 Jahren in Bezug auf Eheleute auch. KritikerInnen wenden ein, dass dem geburtshilflichen Personal die Intention „Lust“ fehlen würde. Ohne Lust ist es keine Vergewaltigung. Aha. Schräge Art die Vergewaltigung zu definieren. Nur wenn der Täter richtig Bock hat und sich sexuell zu mir hingezogen fühlt. Nur dann ist das Rumstochern oder Rumwühlen in meiner Vagina gegen meinen Willen also eine Vergewaltigung.
Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung
Diese Sichtweise offenbart nicht nur ein Problem mit dem Begriff „Birth Rape“ (wie es im Englischen heißt). Sie offenbart auch eine frauenverachtende Einstellung und eine Ablehnung des Tatbestands der Vergewaltigung schlechthin. Denn was bedeutet das anderes als dass JEDE Vergewaltigung dann gar keine Vergewaltigung ist. Wenn der Täter nicht aus Lust sondern aus Rache oder um zu verletzten, zu erniedrigen oder um Macht zu demonstrieren vergewaltigt?
Das Opfer wird nicht gefragt – Birth Rape wird unsichtbar
Wer die Lust des Täters als Voraussetzung für eine Vergewaltigung sieht, beschränkt sich auf die Vorstellung, es müsste eine Art Benefit für den Täter geben. Die Vergewaltigung muss sich für ihn lohnen. Vergeht ihm währenddessen jedoch die Lust. Oder war er ohnehin nicht lüstern, dann hat er von der Vergewaltigung ja gar nichts gehabt. Folglich ist es aus seiner Perspektive auch keine Vergewaltigung. Die Opfer-Perspektive wird geleugnet, die Täter-Perspektive wird über alles gestellt. Die Tat ohne sexuellen Gewinn wird gedeutet als wäre sie gar nicht geschehen. Diese Interpretationen von sexueller Gewalt sind erschreckend. Und Birth Rape wird so unsichtbar gemacht.
Deutungshoheit im Patriarchat
Für unsere Rechtssprechung spielt es bei Körperverletzung auch keine Rolle, ob jemand aus Leidenschaft zuschlägt. Oder um dem anderen weh zu tun. Wenn mein Chef mich verprügelt, weil er glaubt, sonst seinen Arbeitsalltag nicht zu schaffen. Dann ist das für mich als Opfer auch nicht anders als wenn er es macht, weil ihm das Prügeln Freude bereitet. Wichtig ist die Art der Tat und die Schwere der Verletzung. Und nicht welcher Film dabei im Täterkopf ablief. Nicht der Täter sollte die Deutungshoheit über die Definition einer Vergewaltigung haben. Erst recht nicht wenn ZeugInnen und Betroffene immer und immer und immer wieder sagen „WIE EINE VERGEWALTIGUNG“.
Wenn eine Mutter oder geburtshilfliches Personal also von einer Vergewaltigung spricht, dann müssen wir uns das anhören. Und dann müssen wir das genau so verstehen. Nur weil die Gewalt von einer Person im weißen Kittel auf einem Klinikgelände ausgeht, ist sie dadurch nicht weniger Gewalt. Wer hat das Recht den Betroffenen zu sagen wie sich das angefühlt haben muss?
TäterInnen sind nicht alle nur Opfer
Sehr viel habe ich schon darüber geschrieben und gesprochen. Geburtshilfliches Personal – besonders Hebammenschülerinnen und Hebammen – sind oft von der Gewalt mittraumatisiert. Viele sind als „second victim“ betroffen. Es gibt Hebammen, die lautstark gegen die Gewalt demonstrieren und sie selbst nicht ertragen können. Die nach Geburten in Waschräumen weinen. Die den Schmerz mit uns spüren und die Gewalt ablehnen. Aber es muss auch mal gesagt werden dürfen, dass es auch anders sein kann. Dass es geburtshilfliches Personal gibt, das als grausam und abartig zu bezeichnen ist.
Frauenhass ist ihre Berufung
Und die, die immer wieder brutal mit ihrer Hand in die Vagina einer Gebärenden reinfahren während diese schreit vor Schmerzen. Diese Personen sind Vergewaltiger! Die vielzitierte Lust an der Gewalt und Macht über die Frau und ihre Genitalien muss man ihnen ohne weiteres unterstellen! Wer sogar täglich berufsmäßig Frauen anschnauzt, beleidigt, erniedrigt und sie an ihren Genitalien verletzt, kann als Motivation für diese Art seiner Berufsausübung nur Frauenhaß- und verachtung haben. Damit unterscheiden sich diese Frauen-Folterer nicht von sonstigen Vergewaltigern.
„Sie hat es so gewollt“
Was uns aufrütteln sollte, ist, dass es derart viele Parallelen zwischen Vergewaltigungen und geburtshilflicher Gewalt gibt. Zum einen sind da die Empfindungen der Betroffenen und ZeugInnen. Hebammen, die beschreiben wie sie nahezu jede vaginale „Untersuchung“ im Kreißsaal durch andere so erleben als würden sie bei einer Vergewaltigung zusehen. Zum anderen sind es die Sprüche der TäterInnen, die zu den Übergriffen im Kreißsaal sagen: „Die Frau wollte das doch so.“ „Sie wollte den Kaiserschnitt/Dammschnitt.“ Sie wollte Sex mit mir. Andere sagen: „Das hat sie sich selbst zuzuschreiben.“ „Sie hat sich hängen lassen, nicht kräftig genug gepresst und war zu empfindlich.“ Sie war knapp bekleidet, hat geflirtet und war angetrunken.
Vergewaltigungs-Lyrik auch beim Birth Rape
Als mich das erste Mal Hebammen nach einem Vortrag zur Gewalt aus dem Plenum heraus anschrien mit „Die Frauen wollen das doch so“ hatte ich direkt die Assoziation, vor männlichen Strafgefangenen zu stehen, die wegen Sexualdelikten verurteilt wurden.
Doch auch die Reaktionen unseres Rechtssystems erinnern stark an sexuelle Gewalt. Da werden Verfahren eingestellt aufgrund von Mangel an Beweisen oder auch sehr oft, weil „kein öffentliches Interesse besteht“. Der Ort des Geschehens ist statt dem Ehebett das Kreißsaalbett – die Vergewaltigungs-Lyrik ist dieselbe. Wie eng beides beisammen liegt wird auch in einem Geburtsbericht einer Betroffenen in meinem Buch deutlich. Während das Klinikpersonal ihr gegenüber während der Geburt übergriffig war, misshandelte ihr Mann sie auch noch sexuell im Kreißsaal wann auch immer das Personal abwesend war.
Drei Lebenszyklen der Frauen aus Täter-Sicht
Woher kommen diese Parallelen? Es geht in beiden Fällen um Gewalt gegen Frauen und gegen das Zentrum ihrer Weiblichkeit. Im Patriarchat heißt es eben, die Vagina gehört dem Mann und die Gebärmutter gehört dem Arzt/der Klinik.
Diese Gewalt an Frauen ist ein guter Indikator dafür wie gleichberechtigt unsere Gesellschaft ist. Sie wird von Individuen verübt, durch strukturelle Mechanismen gefördert und vom Rechtsstaat akzeptiert. Sie ist möglich, weil wir es mit Frauenverachtung auf allen Ebenen zu tun haben. Eine Frau hat aus patriarchaler, sexistischer Sicht drei Lebenszyklen: sie ist Fick-Material, Gebär-Container und Bedürfnis-Befriedigerin.
Kampf für uns und unsere Töchter
Vergewaltigungen, Gewalt unter der Geburt, körperliche und psychische Gewalt gegen Frauen. All diese Gewaltformen sind Instrumente zur Unterdrückung der Frau. Feminismus und der Kampf gegen diese Gewalt sind daher aufs engste miteinander verwoben. Die Politik hat die Frauen auf zu vielen Ebenen nicht im Blick. Es gibt nur eine Möglichkeit wie die Gewalt vermindert und die Gleichberechtigung gestärkt werden kann: Der politische Protest muss weitergehen. Damit wir wenigstens für unsere Töchter erstreiten können was uns zu oft verwehrt blieb – Menschlichkeit (im Kreißsaal).
Hilfe für Betroffene
Darüber hinaus müssen wir aber auch eine Infrastruktur für Betroffene schaffen. Wir brauchen Beratungs- und Therapiestellen – so wie es diese vielerorts für Frauen gibt, die von häuslicher/sexueller Gewalt betroffen sind. Wir haben es hier mit einem deutschlandweiten, flächendeckenden Gewalt-Problem zu tun. Frauen, die unter der Geburt Gewalt erlebt haben, brauchen Anlaufstellen. Es kann nicht sein, dass Bund, Länder und Kommunen sich ausruhen. Darauf dass aktuell noch so gut es geht Betroffenen- und Eltern-Zusammenschlüsse versuchen das Leid aufzufangen. Viele Betroffene benötigen Gespräche, Beratung und Unterstützung. Die meisten können diese nicht erhalten, da es keine Institutionen gibt. Oder diese fühlen sich nicht zuständig oder sind nicht entsprechend ausgebildet. Hier ist die Politik gefragt, die derzeit noch sämtliche Hilferufe engagierter Mütter und Betroffener überhört. Und darüber hinaus auch bezüglich präventiver Maßnahmen völlig untätig ist!
Laut bleiben
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir am 25.11. und darüber hinaus (!) laut werden (und bleiben) gegen Gewalt an Frauen! Und gegen Gewalt unter der Geburt! Aber wir müssen uns auch ganz klar gegen frauenverachtende Strukturen und Denkweisen richten. Denn diese halten sich hartnäckig in unserer Gesellschaft und sind untrennbar mit der Gewalt an Frauen verbunden!
Wer sich weiter informieren möchte, dem lege ich mein Buch Gewalt unter der Geburt ans Herz. Auch auf den Seiten von Gerechte Geburt könnt Ihr Euch tiefergehender ins Thema einlesen.